Warum Selbstmitgefühl nichts für Feiglinge ist

oder: Warum Freundlichkeit mit sich selbst ein Zeichen innerer Stärke ist      

Selbstmigefühl – das klingt für viele Menschen nach Kuscheldecke, Tee, Wohlfühlkissen und Wellness. Häufig kommt das Vorurteil auf, es gehe darum, sich das Leben mit einem rosa Zuckerguss zu versüßen und sich schönzureden oder die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben. Doch wer sich wirklich auf die Praxis des Selbstmitgefühls einlässt, entdeckt schnell: Es ist alles andere als weichgespült.

Echtes Selbstmitgefühl bedeutet, sich mutig den eigenen Empfindungen zuzuwenden – auch und gerade den schwierigen. Es heißt, in den Momenten von Schmerz, Scham oder Versagen NICHT davonzulaufen oder sich zu verurteilen, sondern mit innerer Klarheit und Freundlichkeit dazubleiben. Diese Haltung braucht Mut, Achtsamkeit und die Bereitschaft, ehrlich hinzusehen – und genau darin liegt ihre Kraft.

Die drei Säulen des Selbstmitgefühls 

Die Pionierin der wissenschaftlichen Forschung rund um das Selbstmitgefühl ist die Psychologin Dr. Kristin Neff, die den Begriff – gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Christopher Germer – maßgeblich geprägt hat.

Sie beschreibt die drei Kernkomponenten des Selbstmitgefühls:

  • Achtsamkeit: Die Bereitschaft und Praxis, auch schwierige Gefühle wahrzunehmen, ohne sie zu verdrängen oder verändern zu wollen.
  • Gemeinsame Menschlichkeit: Das Bewusstsein, dass Schicksalsschläge und Scheitern zum Menschsein dazugehören.

  • Freundlichkeit mit sich selbst: Die Bereitschaft, mit sich selbst so zu sprechen, wie man mit einem guten Freund/ einer guten Freundin in der Situation sprechen würde.

Diese drei Pfeiler des Selbstmitgefühls wirken wie ein inneres Gegenmittel bei übermäßiger Selbstkritik, Scham- und Schuldgefühlen.
Sie aktivieren nachweislich unsere biologisches Beruhigungssystem, den Parasympathikus. Während Selbstkritik unser Stresssystem aktiviert und die entsprechenden Neurotransmitter Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet werden, wird bei Aktivierung des Beruhigungssystems das Hormon Oxytocin ausgeschüttet: Wir werden innerlich ruhiger und klarer.

Selbstmitgefühl ist kein Rückzug – sondern aktive Fürsorge

Mitgefühl mit uns selbst heißt nicht: Ich mache nichts mehr, weil ich mich mag. 
Es bedeutet: Ich kümmere mich um mich, damit ich klar, präsent und handlungsfähig bleibe – auch und gerade, wenn´s schwierig ist.

Diese Haltung stärkt Resilienz, senkt das Risiko für (Dauer-)Erschöpfung und hilft, gesunde Grenzen zu setzen und für uns einzustehen.
In meiner therapeutischen Arbeit berichten viele Klientinnen/ Klienten, dass sie durch diese Haltung und die Praxis des Selbstmitgefühls zum ersten Mal spüren, dass sie nicht perfekt sein müssen, um wertvoll und liebenswert zu sein.
Das ist oft der Beginn einer tiefen Veränderung – und gerade diese Haltung führt zu mehr Motivation und Antrieb, nicht (mehr) passende Lebensumstände zu ändern und eben nicht mit der Kuscheldecke in den Rückzug und die Resignation zu gehen.


Kleine Übung für zwischendurch 

 

Nehmen Sie sich einen ruhigen Moment Zeit für eine kurze Achtsamkeitspause (Atem fühlen, Umgebung bewusst wahrnehmen…).
Denken Sie dann an eine Situation in der letzten Zeit, in der Sie sehr selbstkritisch mit sich umgegangen sind – vielleicht hören Sie die Stimme Ihres inneren Antreibers, vielleicht ist gerade der kleine Perfektionist anwesend….
Fragen Sie sich nun freundlich:

  • Wenn meine beste Freundin/ mein bester Freund mir diese Situation erzählen würde – was würde ich ihr/ihm sagen?
  • Welche Worte würde ich verwenden, welche Tonlage hätte meine Stimme? Was wäre hilfreich, ehrlich und unterstützend?

Vielleicht merken Sie, dass es einen Unterschied gibt im Umgang mit sich selbst und Ihrer besten Freundin/ besten Freund.
Wie wäre es nun, wenn Sie sich selbst diesen freundlichen Umgang zukommen lassen würden?



Fazit

Selbstmitgefühl ist keine Flucht, kein Luxus und kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein radikaler Akt der Selbstverantwortung – eine Praxis, die uns erlaubt, handlungsfähig und menschlich zu bleiben, auch wenn das Leben herausfordernd ist.

Oder, um es mit den Worten Kristin Neffs zu sagen:

Selbstmitgefühl ist nichts anderes, als uns selbst die gleiche Freundlichkeit zu schenken, die wir anderen ganz selbstverständlich entgegenbringen.


Sie möchten mehr erfahren?

Auf meiner Homepage finden Sie weitere Informationen über den MBCL-8-Wochenkurs zum Aufbau von Selbstmitgefühl: MBCL-8-Wochenkurs. 
Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf – als zertifizierte MBCL-Lehrerin und langjährig erfahrene Psychotherapeutin (u.a. in CFT- compassion-focusd-therapy) ist die Grundhaltung des Selbstmitgefühls eine zentrales Fundament meiner Arbeit.

 

Bild:Shutterstock


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